Das Wasser und die Palästinafrage
Von Klaus Polkehn
Der letzte Winter habe, schrieb die israelische Jerusalem Post, «schrecklichere
Aspekte» gehabt als die palästinensische Intifada: «Wir befinden uns Mitte März
und die Regenfälle dieses Winters lagen bedeutend unter dem
Vieljahresdurchschnitt und sogar unter pessimistischen Vorhersagen des letzten
Novembers. Der gesunkene und weiter sinkende Spiegel des Kinnereth, des
Hauptreservoirs des Landes, ist der stille Beweis für die Tatsache, dass wir
uns im dritten Jahr einer ernsthaften Trockenheit befinden.» (1) Der
Tiberias-See (See Genezareth, hebräisch Kinnereth) ist an die «Rote Linie»
geraten (213 m unter dem Meeresspiegel), unterhalb der die israelischen Behörden
kein Wasser mehr entnehmen wollten. Jetzt denkt man sogar darüber nach, ein
neues Pump-werk zu errichten, das den noch weiter gesunkenen Spiegel erreicht. Für
Ende dieses Jahres befürchtet man einen Wasserspiegel von -216 Metern. Das
Trinkwasserdefizit Israels für das Jahr 2001 wurde auf 475 Millionen m³ geschätzt,
zwanzig Prozent mehr, als man noch im Vorjahr angenommen hatte.(2)
Sorgen hinsichtlich der Wasserversorgung gibt es auch im benachbarten Jordanien.
Nur wenige aktuelle Berichte befassen sich hingegen mit der Wassersituation der
palästinensischen Gebiete. Doch auch hier droht zunehmender Wassermangel.
Bereits vor zwei Jahren hieß es: «Da im vergan-genen Winter im Westjordanland
nur ein Siebtel der durchschnittlichen jährlichen Regenmenge von 700
Millimetern gefallen sei, habe sich die bereits in normalen Jahren prekäre Lage
weiter verschlimmert... Zur Zeit führten die Brunnen so wenig Wasser, dass die
größeren Städte Cisjordaniens nur an einem Tag pro Woche versorgt werden könnten.»(3)
Im Palästina-Konflikt, so warnte das Londoner Nachrichtenmagazin The Middle
East, könne am Ende das Wasser alle anderen Streitpunkte übertreffen.(4)
Israel und die palästinensischen Gebiete - in einem Trockengürtel der Erde
gelegen - können abgesehen von Regenfällen auf zwei Wasserressourcen zurückgreifen.
Da ist einmal der Jordanfluss mit seinem Einzugsgebiet Hermon-Berg und Golan-Höhen
und den Jordan-Quellflüssen Hasbani, Banias und Dan, dem Tiberias-See und dem
Yarmuk, der in den unteren Jordan mündet. Da sind zum anderen drei wichtige
Grundwasserbecken unter dem von Norden nach Süden verlaufenden Gebirgsrücken:
das westliche, der Yarkon-Teaninim-Aquifer - so benannt nach den Flüssen, die
er speist. Er produziert jährlich 350 Mio. m3. Da er unterirdisch in Richtung Küste
fließt, ist er seit vielen Jahrzehnten Hauptversorger der Region Tel Aviv. Das
nördliche Becken, das 140 Mio. m3 liefert, und dessen Wasser die Jesreel-Ebene
(Marj Ibn al-Amr) und die Region Beth Shean versorgt. Nördliches und westliches
Becken werden israelischen Experten zufolge voll genutzt. Das östliche Becken
in den sogenannten Judäischen Bergen zieht sich bis an die Jordan-Senke. Es
besitzt ein Potential von 170 Mio. m3, von denen gegenwärtig angeblich nur die
Hälfte ausgeschöpft wird.
Da sich Palästina/Israel in einer von Natur aus wasserarmen Region befindet,
haben das seit Beginn der zionistischen Besiedlung rapide Bevölkerungswachstum
und forcierte Industrialisierung bereits vor einem dreiviertel Jahrhundert die
Probleme der Wasserversorgung sichtbar gemacht. So stellte die britische
Mandatsmacht 1945/46 fest: «In den letzten Jahren gab es eine bemerkenswerte
Verschlechterung in der Untergrundwasser-Situation in mindestens drei Regionen.
In den Sanddünen Haifas ... ist der Wasserspiegel um vier Meter gefallen...
Wenn die gegenwärtige Weise des Abpumpens unkontrolliert fortgesetzt wird, gibt
es die reale Gefahr, dass durch das dadurch entstehende Vakuum Salzwasser
angezogen wird. Ein ähnliches Desaster bedroht Teile von Tel Aviv. An Stellen,
die 1500 Meter vom Meer entfernt sind, ist das Grundwasser auf zwei Meter
unterhalb des Meeresspiegels abgesunken... Zwischen Lydda und Rehovot ist ein
Abfallen um bereits sieben Meter beobachtet worden.»(5)
1955 - 1967: Die erste Wasserkrise
Am 29. November 1947 beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen die
Teilung Palästinas und die Bildung eines jüdischen und eines arabischen
Staates. Die entsprechende UNO-Resolution und ihre Annexe gingen mit keinem Wort
auf die Wasserfrage ein. Nach dem Krieg von 1948/49 verfügte Israel zwar über
77 Prozent des Territoriums Palästinas (anstelle der von der UNO vorgesehenen
56,47 Prozent für den jüdischen Staat), jedoch lagen wichtige Wasserzuflüsse
außerhalb seiner Grenzen. Einwanderung und ökonomische Entwicklung führten zu
schnell wachsendem Wasserbedarf. In den 50er/60er Jahren sah die israelische
Regierung im Zugriff auf das Jordan-Wasser den einzigen Ausweg. Bereits 1944 war
ein Plan ausgearbeitet worden (Lowdermilk-Plan), die Negev-Wüste mit Wasser aus
dem Jordan und dem Litani-Fluss (im Libanon) zu bewässern. Ähnliche
Vorstellungen enthielt der Hays-Savage-Plan von 1948, der im Auftrag der
Zionistischen Weltorganisation aufgestellt worden war.
Die USA waren angesichts wachsenden Einflusses der Sowjetunion im Nahen Osten
daran interessiert, ihre dortigen strategischen und Erdöl-Interessen zu
sichern. Sie orientierten deshalb Anfang der 50er Jahre auf einen
israelisch-arabischen Friedensvertrag anstelle des damals existierenden
Waffenstillstandes. Eine Regelung für die palästinensischen Flüchtlinge war nötig,
um Konfliktstoff aus der Welt zu schaffen. Aber deren Ansiedlung und ökonomische
Integration in den arabischen Nachbarstaaten Israels setzte die Verfügbarkeit
entsprechender Wasservorräte voraus. Also erteilte USA-Präsident Eisenhower
einem Persönlichen Beauf-tragten, Eric Johnston, 1953 den Auftrag, «ein
Abkommen der Staaten Libanon, Syrien, Jordanien und Israel über die Teilung und
Nutzung der Wasser des Jordan-Flussbeckens» auszuarbeiten. Nach zwei Jahren
legte Johnston 1955 einen Plan über die Aufteilung der Wasservorräte vor. Die
Konfliktparteien reagierten hinhaltend auf den Plan. Da 77 Prozent des
Jordan-Wassers auf arabischem Territorium entsprangen, verlangten die arabischen
Staaten einen entsprechenden Anteil. Schließlich lehnte die Arabische Liga den
Johnston-Plan ab, weil die Wasserfrage isoliert von dem Flüchtlingsproblem
angegangen werde. Israel forderte zunächst einen weitaus höheren Anteil («vorerst»
65 Prozent allen Wassers), verhielt sich dann aber zu den Johnston-Vorschlägen
ambivalent, stimmte ihnen nicht zu, ohne sie explizit abzulehnen.
Anstelle einer einvernehmlichen Regelung kam es zu einseitigen Maßnahmen.
Jordanien errichtete nach einem vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNWRA 1952
ausgearbeiteten Plan einen Staudamm am Yarmuk und den East-Ghor-Kanal in der
Jordan-Senke. Zugleich einigten sich Jordanien und Syrien über die Aufteilung
des Yarmuk-Wassers.
Israel baute zur gleichen Zeit den National Water Carrier, eine gigantische
Wasserleitung, deren ersten Abschnitt man 1955 eröffnete. Aus dem Tiberias-See
wurde das Wasser 350 Meter hoch gepumpt und nach Süden geleitet. Diese
Wasserentnahme ohne Übereinkunft wurde von den arabischen Staaten als Eingriff
in eigene Rechte gesehen. Entsprechende Proteste wurden mit israelischen «Kriegserklärungen»
beantwortet: Israels damaliger Verteidigungsminister General Moshe Dayan drohte
im Oktober 1959: «Wenn die Araber nicht mit uns bei der Lösung der
Jordan-Wasser-Angelegenheit zusammenarbeiten, werden wir ... das Wasser mit
Gewalt nehmen.»
Jordanien verlangte eine konzertierte arabische Antwort auf die Wasserentnahme
aus dem Tiberias-See. Nach langen Debatten beschloss 1964 eine Arabische
Gipfelkonferenz ein Projekt zur Ableitung der Jordan-Zuflüsse. Der aus dem
Libanon kommende Hasbani sollte in den Banias in Syrien und von dort in den
Yarmuk umgeleitet werden. Es waren 24 Monate Bauzeit am Hasbani vorgesehen, 36
Monate für den Banias-Yarmuk-Kanal; 1968 sollte das Projekt fertiggestellt
sein. Am 14. Juli 1966 bombardierte die israelische Luftwaffe die
Hasbani-Baustelle. Damit endete das Projekt. Die Araber stellten alle Arbeiten
ein, zumal auch das Geld alle war. So endete die erste Wasserkrise mit einem
eindeutigen Sieg Israels. Die erste militärische Aktion der damals neu gegründeten
palästinensischen Guerilla-Organisation Al-Fatah hatte sich am 1. Januar 1965
übrigens nicht zufällig gegen Pumpanlagen des National Water Carrier in Israel
gerichtet.
Wasser unter Besatzung: Das Westjordanland
Im Juni 1967 eroberte Israel im «Sechstagekrieg» das bis dahin von Jordanien
verwaltete Westjor-danland (und den Gaza-Streifen). Damit kontrollierte es alle
Grundwasserspeicher westlich des Jordan und weitgehend auch das Jordanbecken.
Dank der gleichzeitigen Besetzung der syrischen Golan-Höhen war es war nun auch
in der Lage, die Entnahme von Wasser aus dem Tiberias-See zu steigern, und hatte
zugleich Zugang zum Yarmuk. Die Genfer Konventionen und die Haager
Landkriegsordnung verbieten einer Besatzungsmacht, in Besitzverhältnisse und
Infrastruktur des besetzten Gebiets einzugreifen. Dazu zählen auch
Wasservorkommen. Deshalb wurde in einem UNO-Bericht von 1992 Kritik an Israel geübt:
«Da die Wasserverwaltungs-Praktiken Israels administrative, politische und
hydrologische Grenzen ignorieren, sind die israelischen Behörden in der Lage,
Wasser von einem Bassin oder Grundwasserspeicher zu einem anderen zu
transferieren, sowohl innerhalb der Westbank oder von der Westbank in andere
Gebiete.»
Mit dem Sechstagekrieg war die Ausbeutung der Westbank-Speicher faktisch nicht
mehr «grenzüberschreitend», sondern die gesamte Wasserwirtschaft der
besetzten Gebiete wurde nunmehr von Israel reguliert und dirigiert. Im
okkupierten Gebieten wurden seit 1967 zahlreiche Rechtsfragen durch Anweisungen
der Militärregierung (Military Orders - MO) neu geregelt - auch die
Wasserrechte. Hier bedeutete dies u.a. die Überstülpung der israelischen
Wasser-Gesetzgebung über die bis dahin gültige jordanischen Gesetze. Alte - in
den ariden Gebieten der arabischen Welt bewährte - Prinzipien wurden
abgeschafft. Gewohnheitsrechte wie «das Recht, den Durst zu stillen» (arab.
Chafa) und «das Recht, zu bewässern» (Chirb) hob man auf. Beispiele: Durch
die Military Order (MO) 92 vom 15. August 1967 wurde die alleinige Verfü-gungsgewalt
in Wasserangelegenheiten der israelischen Militärverwaltung übertragen. Alle
Wasserressourcen wurden zu Staatseigentum erklärt, gemäß dem israelischen
Wassergesetz von 1959. Die MO 158 vom 19. November 1967 verbot den Bau jedweder
Wasser-Einrichtungen ohne Genehmigung der Militärverwaltung. Die MO 291/68
machte jegliche Grundwassernutzung von staatlicher (das heißt israelischer)
Erlaubnis abhängig, damit wurde die jordanischen Regelung der
quasi-automatischen Bohrerlaubnis im Falle des Austrock-nens eines Brunnens oder
Quelle abgeschafft. Die Schaffung eines Netzes von «Schutzzonen», «Rationierungsgebieten»,
«Entwässerungsdistrikten», «Bodenschutzgebieten» etc. erschwerten der palästinensischen
Bevölkerung den Zugang zu Wasser.
Die Aufsicht über die Wassergewinnung und -versorgung in den palästinensischen
Gebieten übernahm die israelische Wassergesellschaft Mekorot. Seit 1982 begann
sie auch, palästinensische Orte mit dem israelischen Wassernetz zu verbinden.
Was als eine Verbesserung der Versorgung für die Palästinenser annonciert
wurde, war tatsächlich die Schaffung neuer Abhängigkeiten und eine Form «effektiver
Annexion».
Die Zahlenangaben darüber, in welchem Maße Israels Wasserversorgung von den
Vorkommen außerhalb seiner Grenzen (von 1967) abhängig ist, und wie sich die
Wassernutzung zwischen Israelis und Palästinensern aufteilt, differieren. Sie
stimmen aber stets darin überein: Der Großteil der Grundwasservorkommen der
Westbank wird von Israel bzw. den jüdischen Siedlungen auf der Westbank
genutzt. Einer Statistik des US-Informationsdienstes (USIS) zufolge stammen nur
45 Prozent der von Israel verbrauchten 1,7 Milliarden m3 aus dem eigenen Land,
wohingegen 80 Prozent der Wasservorräte von Westbank und Golan nach Israel
geleitet werden. Ein Bericht der Weltbank von 1993 konstatierte, die Palästinenser
auf der Westbank könnten nur 15 bis 20 Prozent des auf ihrem Gebiet zur Verfügung
stehenden Wassers nutzen, der Rest werde von israelischen Siedlern und in Israel
selbst verbraucht.(6) Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzte, dass
Israel den Palästinensern nur 14 Prozent der Wasservorräte der Region überlässt.(7)
Die palästinensische Jerusalem Times meinte, Israel entnehme 83 Prozent des
Wassers der Westbank und bestreite damit 40 Prozent seines Verbrauchs.(8) Die
Jerusalem Post hingegen schrieb, Israel entnehme 30 Prozent seines jährlichen
Verbrauchs (= 600 Mio. m³) aus den Grundwasserspeichern der Westbank, ein
weiteres Drittel aus den Jordan-Zuflüssen und nur 30 Prozent aus
Grundwasservorkommen der Küstenre-gion.(9) Nach einer jüngsten palästinensischen
Studie «nutzt Israel 90 Prozent aller unterirdischen Wasservorräte in Palästina»
und dazu den Jordan «und verwehrt den Palästinensern das Recht, ihr eigenes
Wasser zu nutzen». Aus den Grundwasserspeichern der besetzten Gebiete würden
von Israel jährlich 483 Mio. m³ gepumpt, einschließlich 40 Mio. m³, die an
die Siedlungen im Jordantal geliefert werden, während den Palästinensern nur
erlaubt sei, 188 Mio. m³ aus den gleichen Speichern zu fördern.(10) Dem
Jahrbuch der Jerusalemer Studiengesellschaft Passia zufolge wird das jährliche
(durch Regenfälle) erneuerbare Grundwasser in den Westbank-Speichern auf 630
Millionen m³ und im Küstenspeicher in Gaza auf 42 Millionen m³ geschätzt. «Die
Palästinenser der Westbank haben einen Anteil von nur 110 Millionen m³ (19
Prozent), während die israelischen Siedler 30 Millionen m³ haben, der Rest (81
Prozent oder 460 Millionen m³) wird direkt nach Israel geleitet.(11)
Als Wasserverbraucher kam also auch die wachsende Zahl der (völkerrechtlich
illegalen) israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten hinzu. Sie zeichnen
sich durch besonders hohen Wasserverbrauch aus. 1986 lag in ihnen der jährliche
Pro-Kopf-Verbrauch bei 90 m³ (in Europa werden durchschnittlich 83 m³
verbraucht; den Palästinensern auf der Westbank standen seinerzeit 20 m³ zur
Verfügung). Von 1967 bis 1995 bohrte die israelische Wassergesellschaft Mekorot
auf der Westbank 32 neue Brunnen für die Siedlungen - 100 bis 600 m tief. (Die
Brunnen der Palästinenser dürfen laut MO nur 60 - 150 m tief sein; mehr als
sechs Brunnen und elf Quellen arabischer Dörfer seien infolge dieser neuen
Nutzung ausgetrocknet; von 1967 bis 1995 wurden übrigens von der Militärverwaltung
an Palästinenser nur 23 Genehmigungen zum Brunnenbau erteilt; anders herum nach
damaligen Zahlen: 32 neue Brunnen für 140.000 israelische Siedler; 23 neue
Brunnen für über eine Million Palästinenser).(12) All diese Angaben sind
insofern unvollständig, als sich die Zahl von Siedlungen und Siedlern in den
letzten Jahren geradezu explosionsartig erhöht hat. Die Swimmingpools und die
sattgrünen Rasenflächen in den Siedlungen neben den darbenden palästinensischen
Dörfern sind inzwischen fast sprichwörtlich und werden in zahlreichen
Berichten als Ursache für die Frustrationen der palästinensischen Bevölkerung
zitiert.
Das Westjordanland ist vom Grundwasser völlig abhängig. Seinen Zugang zum
Jordan darf es so lange nicht nutzen, bis der endgültige Status der palästinensischen
Gebiete ausgehandelt ist. Aber das Grundwasser wird zugeteilt. Durch die knappe
Zuteilung hat die palästinensische Landwirtschaft kaum die Möglichkeit, sich
zu entwickeln, und große Flächen bewässerbaren Landes, insbesondere im
Jordantal, liegen brach. Als Folge der Beschränkungen ist der Umfang der bewässerten
Flächen der palästinensischen Landwirtschaft von 32200 ha im Jahre 1970 auf
10130 ha im Jahr 1984 zurückgegangen.(13) Einer neueren Untersuchung der
israelischen Friedensbewegung Peace Now zufolge ist übrigens die bewässerte Fläche
in den Westbank-Siedlungen pro Kopf auf der Westbank dreizehnmal größer als
die der palästinensischen Bewohner.(14)
Ein extensives «Überpumpen» der Quellen hatte ein Sinken des
Grundwassersspiegels auf der Westbank zur Folge, im Distrikt Jenin um 10 Meter.
Auch im Jordan-Tal sank der Grundwasserspiegel von 1967 bis 1991 um 16 Meter. Außerdem
stieg die Salzkonzentration im Jordantal von 1982 bis 1991 um ca. 130 Prozent.
Die Grundwasservorkommen der Westbank (wie auch des Gaza-Streifens) sind zudem
akut durch ungelöste Umweltprobleme bedroht. Wie teilweise auch in Israel gibt
es auf der Westbank keine befriedigende Abwasserbehandlung. Auch werden
beispielsweise 88 Prozent der Abwässer von Jerusalem ungeklärt in den Wadi
Sorek und in den Wadi Kidron geleitet. Das Fehlen von Mülldeponien und die «wilde»
Abfallentsorgung haben zur Folge, dass große Mengen von Schadstoffen in die Täler
gespült werden bzw. das Grundwasser kontaminieren. So besaßen zahlreiche
israelische Siedlungen auf der Westbank undichte Klärgruben, aus denen Abwässer
ins Grundwasser sickerten.(15) Der Hydrologe Prof. Arnon Sofer von der Universität
Haifa hat mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, dass ohne eine ausreichende
Abwasser-Wirtschaft das Wachstum der Bevölkerung in den besetzten Gebieten auch
«der israelischen Küste mit Schmutzwasser, Ruhr und Typhus den Rest geben wird».(16)
Erfreulicherweise hat sich die Bundesrepublik Deutschland bei ihren
Entwicklungshilfeprojekten für die palästinensischen Gebiete auf Vorhaben der
Wasserversorgung und der Abwasserbehandlung konzentriert. Die eingesetzten bzw.
bewilligten Mittel seit 1994 belaufen sich auf mehr als 318 Millionen DM und
reichen u.a. von der Einrichtung einer Abwasserentsorgung für den Mittleren
Gaza-Streifen über den Bau von zwei Brunnen in Hebron bis zu Maßnahmen zur
Reduzierung von Wasserverlusten im Verteilungsnetz von Nablus.(17)
Wasser unter Besatzung: Der Gaza-Streifen
Im Gazastreifen lebten 1948 rund 50 000 Menschen. Durch den Zustrom der Flüchtlinge
und durch das nachfolgende natürliche Wachstum erhöhte sich die Einwohnerzahl
bis heute auf 1,2 Millionen, d.h. auf das 24fache. Die Wasser-Ressourcen aber
sind gleich geblieben! Die erneu-er-baren Vorräte (durch Regenfälle) belaufen
sich günstigenfalls auf 40 Mio. m³ jährlich. Dazu kommen jährlich 20 Mio. m³
aus jenen Grundwasserbecken, die wiederum auf dem Territorium Israels liegen.
Diesen 60 Mio. m³ steht jedoch ein Bedarf von 100 Mio. m³ gegenüber. Zum
Brunnenwasser kommen allerdings jährlich 5 Mio. m³, die Israel dem
Gazastreifen über den National Water Carrier zukommen lässt.(18)
«Nach den Berechnungen der palästinensischen Hydrologen», schrieb die Neue Zürcher
Zeitung, «beträgt das Wasserangebot im Gazastreifen für 1,2 Millionen
Einwohner pro Jahr 144 Millionen Kubikmeter. Das bedeutet einen rund sechsmal
geringeren Pro- Kopf-Verbrauch als in Mitteleuropa oder Israel. Die geringe
Menge habe zudem einen viel zu hohen Salzgehalt ... Studien wie die der Europäischen
Kommission über integrierte Wasserplanung im Mittelmeerraum kommen ebenfalls
zum Schluss, dass die Wasserqualität im Gazastreifen sehr zu wünschen übrig lässt.
Die Studie der Europäischen Kommission macht die jahrelange Übernutzung des Küsten-Aquifers
vor allem durch Israel, aber auch durch die palästinensische Wasserbehörde dafür
verantwortlich, dass Meer- und landwirtschaftliches Drainagewasser in die
wasserführenden Schichten gedrungen ist. Letzteres hat zur massiven Erhöhung
gesundheitsschädlicher Chlorid- und Nitratkonzentrationen im Aquifer geführt.»(19)
Die Diskrepanz zwischen Verbrauch und Ressourcen bewirkt, dass der
Grundwasserspiegel im Gaza-Streifen jährlich um 15 - 20 Zentimeter sinkt. Der
Gehalt des Trinkwassers an Nitraten ist mancherorts zehnmal höher, als nach
internationalen Standards zulässig. Die Folge sind Krankheiten. Ärzte in Gaza
nennen die schlechte Wasserqualität als Ursache einer hohen Zahl von Nieren-
und Lebererkrankungen.
Israels Wasserprobleme
Israels hoher und steigender Wasserverbrauch ist bedingt durch ein hohes Bevölkerungswachstum
- vornehmlich durch forcierte Einwanderung (in den letzten zehn Jahren ist die
Einwohnerzahl um eine Million gestiegen). Der Hauptwasserverbraucher ist die
israelische Landwirtschaft. Der Umfang bewässerter landwirtschaftlicher Flächen
in Israel stieg wie folgt: 1949 = 30 000 ha; 1968 = 161 600 ha; 1987 = 215 300
ha. Israels Landwirtschaft - international hoch gelobt für die Innovation der
Tröpfchenbewässerung - nutzt das Wasser allerdings vor allem für
wasserintensive Kulturen, die für den Export bestimmt sind. In einer trockenen
Region benötigt man für die Produktion von einem Kilo Tomaten ca. 120 Liter
Wasser; für ein Kilo Orangen 450 Liter. Avocados, Baumwolle und Melonen sind
noch schlimmere Wasserschlucker. Der Jahresverbrauch israelischer Haushalte beträgt
600 Mio. m³, die Industrie benötigt 100 Mio. m³ Trinkwasser, aber die
Landwirtschaft 800 Mio. m³. «Mit anderen Worten», schrieb die israelische
Zeitung Ha'aretz, «der landwirtschaftliche Sektor verbraucht 53 Prozent von
Israels Trinkwasser, aber er produziert nur drei Prozent des
Bruttosozialprodukts.»(20) Und, so ist zu ergänzen, er beschäftigt nur sechs
Prozent der Arbeitskräfte. Ein Grund für diese Vergeudung sei, monierten
israelische Medien, dass die israelische Landwirtschaft über den Wasserpreis
subventioniert werde. Sie zahle gegenwärtig 0,92 Schekel für den m³
Trinkwasser, dessen Produktionskosten sich auf 1,35 Schekel belaufen, wohingegen
der private Verbraucher vier Schekel hinblättern muss. Ha'aretz meinte weiter,
der offensichtliche Wahnwitz der Erzeugung von Kartoffeln und Avocados «in
einem wüstenähnlichen Land» führe letztlich dazu, «dass wir teures Wasser
nach Europa exportieren». Auch hier liegt also ein Schlüssel zur gegenwärtigen
Wasserkrise.
Der Friedensprozess und das Wasser
Eine Regelung des Wasserproblems kann nur im Rahmen eines abschließenden
israelisch-palästinensischen Abkommens erreicht werden. Dabei muss man den
Vorgaben des Völkerrechts folgen. Allerdings gibt es hinsichtlich der Nutzung
von Wasser bislang keine international verbindliche Regelung, die von allen
Staaten anerkannt würde. Die sogenannten «Regeln von Helsinki» von 1966 über
die Nutzung des Wassers grenzüberschreitender Flüsse (die auf den Jordan
zutreffen) legen fest, jeder Anliegerstaat solle einen «angemessenen Anteil»
am Wasser erhalten. Wenn die israelische Regierung in letzter Zeit mehrfach erklärt
hat, sie wolle den Jordangraben nicht an einen Palästinenserstaat übergeben,
sondern (als «Sicherheitszone») unter eigener Kontrolle behalten, so könnte
dies bedeuten, dass ein künftiger Palästina-Staat als Flussanrainer
ausscheidet und demzufolge auch keinen Anspruch auf Jordan-Wasser hat.
Die in Anlehnung an die Regeln von Helsinki im Jahre 1986 formulierten «Regeln
von Seoul», die ebenfalls nicht von allen Staaten anerkannt werden, legen fest,
jeder Anliegerstaat grenzüberschreitender Grundwasservorkommen solle einen «angemessenen
Anteil» am Wasser erhalten. Sowohl die Regeln von Helsinki wie die von Seoul
bleiben vage, was den Begriff «angemessen» anbetrifft, und sie messen dem
Gewohnheitsrecht große Bedeutung bei. Das aber gibt den Palästinensern
angesichts der oben aufgeführten «Gewohnheiten» seit 1967 schlechte Karten.
Die Wasserfrage hat die israelische Haltung bei den Verhandlungen mit den Palästinensern
nachhaltig bestimmt. Es ist vielleicht nicht einmal übertrieben zu behaupten,
dass sie möglicherweise ein größeres Gewicht hatte als die sogenannte
Sicherheitsproblematik, bei der sich ja Israel auf seine militärische Überlegenheit
verlassen kann.
Bereits 1989 hatte der israelische State Comptroller (so etwas wie eine Mischung
zwischen Ombudsman und Rechnungshof) in seinem Jahresbericht gewarnt: «Es
existiert die physische Möglichkeit, das Abpumpen (von Wasser) in Judäa und
Samaria (also auf der Westbank) bis zu einem Grade zu steigern, der das Pumpen
in Israel komplett unmöglich macht.» Diese Gefahr, so kommentierte Jahre später
die Jerusalem Post, könnte man nur ignorieren, wenn die Palästinenser «keinen
Anspruch auf dieses Wasser erheben würden - aber unglücklicherweise tun sie
das.»(21) Der Wasserexperte Joyce Starr warnte in seinem Buch «Covenant Over
Middle Eastern Waters» ein «Überpumpen» auf der Westbank könne den
Grundwasserspiegel in ganz Israel unter den Meeresspiegel absenken und zum
Einströmen von Salzwasser (wie bereits in Gaza) führen. Der Vorsitzende der
israelischen Bewegung zum Schutz des Wassers schrieb 1994: «Wer die Pumpen in
Judäa und Samaria (so der israelische Sprachgebrauch für die Westbank; K.P.)
kontrolliert, bestimmt die Menge des Wassers, das über die Grüne Linie (die
Grenze Israels von 1967; K.P.) fließen kann...» Wie das Leben in Israel sein würde,
wenn man auf das Westbank-Wasser verzichten müsste, sei «jenseits aller
Vorstellung. Es würde nicht nur unseren Lebensstil beeinflussen, sondern auch
unsere Psyche als Nation. Ökologisch wären die Bewohner der Küstenebene der
Gnade der Bewohner des Hochlandes von Judäa und Samaria ausgeliefert.»(22)
Die israelisch-palästinensischen Vereinbarungen von Oslo, die Basisdokumente
des Friedensprozesses, sind hinsichtlich der Wasserfrage unbestimmt. Sie wurden
so formuliert, dass sie den israelischen Vorstellungen entsprachen. Die Palästinenser
sind offenkundig benachteiligt. Die Prinzipienerklärung (Document of Principles
- DOP) vom 13. September 1993 erwähnte lediglich, die zu schaffende palästinensische
Selbstverwaltungs-Autorität werde unter anderem eine Palästinensische
Wasser-Verwaltungsbehörde grün-den.(23) In Annex III dieser Vereinbarung («Protokoll
über israelisch-palästinensische Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und
Entwicklungsprogrammen») hieß es dann ergänzend, ein zu bildendes Gemeinsames
Komitee solle sich unter anderem bemühen um die «Zusammenarbeit auf dem Gebiet
des Wassers, einschließlich eines Wasser-Entwicklungsprogramms, das von
Experten beider Seiten vorbereitet wird, und das die Art der Kooperation in der
Verwaltung der Wasserressourcen in der Westbank und im Gazastreifen festlegt,
und das Vorschläge für Studien und Pläne über die Wasserrechte jeder Seite
einschließt, genau so wie die gleichzeitige Nutzung gemeinsamer
Wasserressourcen während der Einführung und nach der Interimsperiode.»(24)
Mit den Formulierungen «Was-ser-rechte beider Seiten» und «gemeinsame
Ressourcen» erkannte die palästinensische Seite a priori Ansprüche Israels
auf palästinensische Wasservorräte an. Das Gaza-Jericho-Abkommen vom 4. Mai
1994 (mit dem die Palästinensische Nationalbehörde installiert wurde) enthielt
ebenfalls einen Annex zur Wasserproblematik. Er schien für die Palästinenser günstig
zu sein, legte er doch in Artikel II.B.31.a fest, alle Wasser- und
Abwasser-Einrichtungen im Gaza-Streifen und im Gebiet Jericho würden der Palästinensischen
Behörde unterstellt. Doch Unterpunkt B.31.b formulierte eine Einschränkung: «...
die bestehenden Wassersysteme, die die Siedlungen und die Gebiete von Militäreinrichtungen
mit Wasser versorgen, und die Wassersysteme und Ressourcen in ihnen werden
weiterhin von der Mekorot Wasser Gesellschaft betrieben und verwaltet.»
Unterpunkt B.31.f legte fest, die Beziehungen zwischen Palästinensischer Behörde
und Mekorot seien als Wirtschaftsbeziehungen zu behandeln, die Politik wurde
ausgeklammert. Das Gaza-Jericho-Abkommen, so betonte ein palästinensischer
Rechtsexperte, bestätigte also den bestehenden Zustand: «Mekorot hat seit 1979
die Verantwortung für die Wasservorräte.»(25) Das am 28. September 1995
unterzeichnete Oslo-II-Abkommen hat die Ambivalenz der Vereinbarungen von Oslo I
hinsichtlich der Wasserfrage bestätigt. Nicht umsonst war das Wasserproblem
einer der Gründe für die stetige Verzögerung einer Einigung. Dabei brachte
Israel das Argument vor, man befürchte, «dass die Palästinenser durch
unkontrollierte und unkoordinierte Bohrungen die Grundwasserreserven in
Cisjordanien zerstören».(26) Das Oslo-II-Abkommen enthielt die Verpflichtung
Israels, «die den Palästinensern zugewiesene Wasserquote um 128 Millionen m³
zu erhöhen».(27) In Annex III, Artikel 40 heißt es dann: «1. Israel erkennt
die palästinensischen Wasserrechte auf der Westbank an. Diese werden in den
Verhandlungen über den endgültigen Status ausgehandelt und in dem Abkommen über
den endgültigen Status hinsichtlich der verschiedenen Wasserressourcen
festgelegt. 2. Beide Seiten erkennen die Notwendigkeit an, zusätzliche
Wasserressourcen für verschiedene Nutzung zu entwickeln.» Damit akzeptierte
Israel prinzipiell, dass die Palästinenser Rechte auf Wasser haben, aber welche
Rechte, das müsse eben noch ausgehandelt werden. Entscheidend ist das Beharren
der israelischen Regierung (gleichgültig welcher) darauf, auch bei einer endgültigen
Lösung auf keinen Fall zu den Grenzen von 1967 zurückzukehren. Denn in den von
Israel beanspruchten Gebieten liegen «die günstigsten Bohrgebiete für
Brunnen. Durch die Eingliederung dieses Gebietsstreifens in das eigene
Staatsgebiet will Israel auch die alleinige Verfügungsgewalt über den größten
Teil des Grundwassers behalten.»(28) Joyce Starr schrieb: «In praktischen
Begriffen könnte Israel seine Wasserzukunft sichern, indem es die ständige
Kontrolle über drei Westbank-Regionen behält, wo das Pumpen den Wasserzufluss
zu israelischen Brunnen beeinflusst. Diese Regionen umfassen 20 Prozent des
Landes (der Westbank) und liegen direkt an der Grünen Linie im nördlichen und
westlichen Samaria und schließen das Bergland um Jerusalem bis südlich nach
Gush Etzion ein.»(29) Diese Gebiete gehören zur «Zone C», die Israel bis zu
einer endgültigen Regelung voll weiter kontrolliert, und genau diese Gebiete
sind von Israel für eine Annexion bei der sogenannten «permanenten Lösung»
vorgesehen.
Die Intifada: (Noch) kein Bürgerkrieg um Wasser
Wasser ist ein so lebenswichtiges und kostbares Gut, dass die Konfliktparteien
selbst in der schärfsten Auseinandersetzung hier um Schadensbegrenzung bemüht
sind. Das durch die Oslo-Abkommen gebildete Gemeinsame israelisch-palästinensische
Wasserkomitee arbeitet trotz der Intifada nach wie vor zusammen. Es erließ am
31. Januar 2001 einen Aufruf, jede Beschädigung von Wasser-Infrastruktur zu
verhindern: «Die beiden Seiten möchten die öffentliche Aufmerksamkeit darauf
richten, dass die palästinensische und israelische Wasser- und
Abwasser-Infrastruktur weitgehend miteinander verbunden sind und beiden Bevölkerungen
dienen. Jede Beschädigung solcher Systeme schadet sowohl Palästinensern wie
Israelis.(30)
So weit, so gut. Israels Infrastrukturminister Avig-dor Lieberman, ein
ausgewiesener Rechtsextremist, warnte hingegen, «dass die Wasserversorgung für
palästinensische Wohnungen vollständig ... abgeschnitten werden könnte, wenn
die Intifada andauert».(31)
Wasserprobleme mit den anderen Nachbarn
Das Wasser spielt - wie schon oben erwähnt - auch im Verhältnis Israels zu den
arabischen Nachbarstaaten eine wichtige Rolle.
Libanon: Die lange Zeit geäußerten Befürchtungen, Israel könne
versuchen, Wasser vom Litani-Fluss nach Israel zu leiten, haben sich mit dem
Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon erledigt. Dennoch hat
sich im März 2001 gezeigt, dass andere Streitfälle in der Luft liegen. Als
Libanon am Oberlauf des Hasbani eine kleine Pumpstation für die Versorgung des
Dorfes Al Wa-za-ni in Betrieb nahm (der UNO-Überwachungstruppe UNIFIL zufolge
eine Zehn-Zentimeter-Leitung), sprach Israel sofort eine «scharfe Warnung» aus
und erinnerte an die Bombardierungen des Jahres 1966 im Jordan-Quellgebiet. Der
Warner war der Leiter der schon mehrmals erwähnten israelischen
Wassergesellschaft Mekorot, Uri Saguy. Der Ex-General Saguy war sehr lange Zeit
Chef des israelischen Armee-Geheimdienstes, was den Stellenwert von Mekorot in
Israel unterstreicht.(32)
Syrien: Die nachdrückliche Weigerung der israelischen Regierung, die
1967 eroberten syrischen Golanhöhen zu räumen, wird sicherlich davon bestimmt,
dass sich auf dem Golan Jordan-Zuflüsse befinden (der Banias - neun Prozent des
Jordan-Wassers - entspringt auf dem Golan; eine Nutzung des Wassers von Banias
und Hasbani durch Syrien würde nicht nur Israel Wassermangel bescheren, sondern
auch die Gefahr einer Versalzung des Tiberias-Sees mit sich bringen). Nach einem
Rückzug vom Golan würde Israel nur noch den Dan völlig kontrollieren, d.h.
nur noch 50 Prozent des Wassers des oberen Jordanzuflusses. Auf dem
Golan-Plateau gibt es außerdem ca. 100 örtliche Quellen mit einer Leistung von
20 Mio. m³. Die jüdischen Siedlungen auf dem Golan, die u.a. die bewässerungsintensive
Baumwolle anbauen, werden übrigens zu 80 Prozent mit Wasser aus dem Tiberiassee
versorgt, das zu enormen Kosten hochgepumpt werden muss (1978 = 1 Mio. m3).
Lediglich der Yarmuk, der unterhalb des Sees Genezareth in den Jordan mündet
(wobei er die Grenze zwischen Syrien, Jordanien und dem besetzten Golan bildet),
entzieht sich der vollständigen israelischen Kontrolle. Aber: Ohne Golan-Abzug
kein Frieden mit Syrien.
Jordanien: Da Israel und Syrien Jordan-Wasser nutzen, blieben für
Jordanien lediglich 30 Prozent des nutzbaren Wassers übrig. Das Land ist
deshalb gegenwärtig gezwungen, jährlich bis zu 15 Prozent seiner
nichterneuerbaren Vorräte zu verbrauchen. Immerhin konnte im
israelisch-jordanischen Friedensvertrag vom 26. Oktober 1994 eine Vereinbarung
über die Nutzung des Wasser von Yarmuk und Jordan sowie der grenzüberschreitenden
Grundwasserspeicher im Wadi Araba erzielt werden. Man einigte sich, nicht die
bisher genutzten Vorkommen neu aufzuteilen, sondern «neue Wasserquellen zu
erschließen» (u.a. durch Entsalzung von Brackwasser im Tiberias-See und den
Bau von weiteren Dämmen an Yarmuk und Jordan). Seit die anhaltende Trockenheit
im Vorjahr die Lage weiter zugespitzt hat, beschuldigt Jordanien die Israelis,
sich nicht an die Vereinbarungen zu halten. Der Wasser-Annex des
Friedensvertrages von 1994 sagte Jordanien eine zusätzliche Versorgung mit jährlich
215 Mio. m³ zu. Im Jahr 2000 habe man nicht einmal die Hälfte davon
erhalten.(33)
Krieg um Wasser oder gütliche Einigung?
Wasser ist knapp im Nahen Osten. Das Wasser wird noch knapper werden. Für das
Jahr 2040 wird im Gebiet von Israel, Jordanien und Palästina mit einem Bedarf
von jährlich 6,5 Milliarden m³ gerechnet. Aber die bislang genutzten Quellen könnten
dann nur drei Milliarden m³ liefern.(34) Das Problem drängt. Der nächste
Krieg im Nahen Osten, so prophezeite man schon 1990, werde nicht ein Krieg um
die Erdölquellen sein, sondern einer um den Zugang zu Wasser (das Wort wird dem
verstorbenen König Hussein von Jordanien zugeschrieben).
Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma? Es wird nicht, aber es sollte möglich
sein. Die Sache hat zwei Aspekte: einen technischen und einen politischen. Man
diskutiert seit geraumer Zeit über israelische Großprojekte zur
Meerwasserentsalzung, möglicherweise mit einer neuen Technologie. Vier solcher
Anlagen sind in Israel projektiert, sie sollen bis zum Jahr 2010 unter europäischer
und japanischer Mitwirkung gebaut werden. Angesichts der aktuellen Lage hat man
im April 2001 mit dem Bau einer Meerwasserentsalzungsanlage in Ashdod begonnen.
Ihre Kapazität beträgt 45 Mio. m³ jährlich, sie soll in 24 Monaten
fertiggestellt sein. Für die Meerwasserentsalzung müssten innerhalb von 10
Jahren 15 Milliarden Dollar investiert werden. Kanäle vom Mittelmeer und vom
Golf von Aqaba zum Toten Meer mit einem großen Gefälle könnten einen Teil der
benötigten Energie liefern. Ein Beamter des israelischen Außenministeriums
sagte dazu voller Optimismus: «Wir werden Wasser in strategischen Mengen
produzieren. Im 21. Jahrhundert wird es keine Spannungen zwischen Ländern wegen
Wasser geben.»(35)
Israel will Trinkwasser aus der Türkei importieren - zunächst in Tankern.
Verhandelt wird über einen Zehnjahreskontrakt über die Lieferung von jährlich
50 Mio. m³. Der Transport wird teuer, sei aber angeblich billiger als die
Entsalzung. Der Bau einer Wasserpipeline (was ökonomischer wäre) setzt
allerdings einen Friedensvertrag mit Syrien voraus. Zu bedenken sind stets die
ökologische Konsequenzen von Eingriffen in den Wasserhaushalt. Früher pflegte
man so etwas (weltweit) zu ignorieren. So hatte die Trockenlegung der
Huleh-Ebene in den 50er Jahren, in Israel als ein Sieg über Sumpf und Malaria
gefeiert, ungünstige Folgen für die Grundwassersituation am Jordan-Oberlauf.
Deshalb werden gegenwärtig damalige Maßnahmen schrittweise wieder rückgängig
gemacht. Die Yarmuk-Ableitung und die starke Wasserentnahme aus dem Tiberias-See
hatten zur Folge, dass der Jordan-Unterlauf «zu einer Kloake wurde, ... gefüttert
durch brackiges Sickerwasser und ungeklärte Abwässer aus Dörfern und
Kibbutzim». Das Absinken des Spiegels des Toten Meeres in 30 Jahren um 17 Meter
und die Verringerung seiner Oberfläche seit 1976 um ein Viertel hatten zur
Folge, dass zwar weniger Wasser verdunstet, dass aber das Klima in der
Jordan-Senke trockener geworden ist.
An erster Stelle aber muss ein sparsamer Umgang mit Wasser stehen. Ein
Weltbank-Bericht vom März 1996 enthielt die Feststellung, das Wasserangebot ließe
sich um 50 Prozent allein dadurch erhöhen, dass man Verluste in veralteten,
fehlerhaften und undicht gewordenen Leitungsnetzen vermindert. Um die
Wasserversorgungsnetze auf den neusten Stand zu bringen, wären in den nächsten
Jahren Investitionen von mindestens 50 - 60 Mrd. Dollar nötig. Die Weltbank ist
der Auffassung, den größten Teil dieser Kosten müssten die Länder selbst
durch erhöhte Nutzergebühren aufbringen. Ob dies möglich ist, darf bezweifelt
werden. Einer Studie der Universität Bersheva zufolge könne man durch die
Aufbereitung von Abwasser ab 2010 jährlich 870 Mio. m3 einsparen.(36)
Technisch ist also vieles denkbar - die entscheidende Frage aber ist die nach
der politischen Lösung. Diese politische Lösung setzt - auch beim
Wasserproblem - Anerkennung der Rechte des anderen voraus. Der Chef der palästinensischen
Was-serbehörde, Abdel Rahman Tamami, sagte: «Ich glaube, dass das
Hinausschieben der Wasserfrage sowohl Israel als auch den Palästinensern
schadet. Die Palästinenser werden nicht in der Lage sein, ohne Wasser eine
wirtschaftliche Infrastruktur aufzubauen. Auch die Israelis werden verlieren,
weil auf längere Sicht die Palästinenser den Friedensprozess nach der
Verbesserung ihres täglichen Lebens beurteilen werden. Sie werden ihre Führer
fragen: ‹Warum haben wir kein Wasser in unseren Wohnungen? Warum können wir
nicht mehr Felder bewässern? Fabriken bauen?› Sie werden nicht nur der
israelischen Seite die Schuld geben. Wasser ist für die Palästinenser eine der
grundlegenden Sorgen des täglichen Lebens.»
Bei der gegenwärtigen israelischen Regierung ist nur wenig
Kompromissbereitschaft zu erkennen. Premier Ariel Scharon sagte in einem
Interview: «Es ist notwendig, die Sicherheitszonen auf der Westbank und im
Osten zu halten, die Straßen zwischen ihnen ... und natürlich den
Grundwasserspiegel zu kontrollieren, aus dem ein Drittel unseres Wassers kommt.»(37)
Anmerkungen
Aus: Marxistische Blätter, Heft 4/2001-Sonderheft (erscheint am 22. Juni
2001). Bezug über:
Marxistische Blätter, Hoffnungstr. 18, 45127 Essen.
Per e-mail: MarxBlaetter@compuserve.de
Zur
Palästina-Seite
Zurück
zur Seite "Regionen"
zurück zu Information Startseite